Kinheim – auf den Spuren eines Ortsnamens

Innerhalb der landschaftlich imposanten Moselschleife zwischen Bernkastel-Kues und Traben-Trarbach liegt in direkter Nachbarschaft von Lösnich der ebenfalls Jahrhunderte alte Weinort Kinheim-Kindel.

Dieser ehemals zum „Kröver Reich“ gehörende Ort Kinheim links der Mosel war seit Ende des 19. Jahrhunderts über eine Gierseilfähre mit seinem gegenüberliegenden Ortsteil Kindel verbunden. Nach dem Bau einer Moselbrücke im Jahre 1966 wurde der Fährbetrieb eingestellt.

Die Kinheimer Fähre mit Blick nach Kindel in den 1960ern (Foto K.-H. Sausen)
Die 1966 erbaute Brücke zur verkehrsmäßigen Verbindung der Ortsteile Kinheim und Kindel unterhalb von Lösnich (Foto Jürgen Schmid)

Kinheim-Kindel lag in direkter Nachbarschaft der ehemaligen „Herrschaft Lösnich“ des ortsansässigen Rittergeschlechts der Herren und Ritter von Lösnich. Sowohl in Kinheim-Kindel, wie auch in Lösnich waren vom 1. – 5 Jh. n. Chr. die Römer ansässig, die in beiden Orten römische Landgüter bewirtschafteten und ihre Domizile (villa rustica) hier errichtet hatten. Mit der Eroberung Galliens durch Caesar um 58 v. Chr. mussten die vorher hier lebenden keltischen Treverer das Siedlungsgebiet aufgeben, oder sich mit den neuen Machthabern arrangieren. So war es auch gang und gäbe, dass sie ins römische Militär eintraten und in Hilfstruppen als „romanisierte Kelten“ ihren Dienst taten. Hier wurden sie bevorzugt als berittene Soldaten eingesetzt. Mit den Römern kam aber auch der Weinbau an die Mosel. So wurden auch in der näheren Umgebung immer wieder Reste römische Kelteranlagen entdeckt und freigelegt, wie im Lösnicher Hinterwald und in Erden und Graach geschehen.

So liegen hier mehrere Ortschaften nahe beieinander, deren Entstehung bis in die keltisch-römische Zeit zurückreicht. Auffallend ist jedoch, dass ihre Namensgebung stark voneinander abweicht (Lös-nich, Kin-heim, Kin-del, Er-den und Ür-zig), insbesondere durch die Endsilben der Namen, die in der Regel schon Hinweise auf ihre Enstehung geben.

Ortslage Kinheim-Kindel mit den Nachbarorten Lösnich Erden und Ürzig (Foto Jürgen Schmid)

Wie Lösnich wahrscheinlich aus einer gallo-römischen Namensgebung hervorgeht – Losuniacum (Besitz des Los, Losius, Lucius, …), so wird bei Kinheim  die Entstehung des Ortsnamens mit der fränkischen Zeit in Verbinbung gebracht, was durch die Ortsnamensendung auf „heim“ gestützt wird. Die Vorsilbe wird dabei in der Regel einem Namen zugeordnet, der zu einer wichtigen Person gehörte, die für die Entstehung des Ortes verantwortlich gewesen sein soll.

Aufgrund der Nähe der Orte untereinander, ist davon auszugehen, dass ihre gemeinsame Entstehung wohl in die keltisch-römische Zeit fällt. Insbesondere die Höhen des Moselbogens von Bernkastel über Graach, Zeltingen-Rachtig, Erden, Lösnich und Wolf nach Traben-Trarbach werden von Historikern als keltische Siedlungskammer der Eisenzeit (800 v. Chr. bis zur Römerzeit) eingestuft mit Siedlungseinheiten, Tempelbezirken und Hügelgräbern (Quelle Publikation Schönfelder und Sievers, Die Eisenzeit zwischen Champagne und Rheintal, 34. Internationales Kolloqium 2010, Römisch Germanisches Zentralmuseum, Aschaffenburg).

Das Geländeplateau Zeltinger Berg als eisenzeitliche Siedlungskammer seit etwa 800 v. Chr. (Skizze Jürgen schmid)

Offen bleibt die Frage, in welcher zeitlichen Abfolge die Siedlungsorte entstanden. So fragen sich gerade die Kinheim-Kindeler, welcher ihrer beiden Ortsteile als erster bestanden haben könnte, oder ob sich die beiden Ortsteile links und rechts der Mosel erst gleichzeitig nebeneinander entwickelt haben und dann im Mittelalter als gemeinsamer Teil des Kröver Reichs zu einer Ortseinheit wurden. Mit Kinheim wird ein noch weiterer Ort in Verbindung gebracht, das benachbarte Kinderbeuern auf den Höhen links der Mosel.

Wie in folgender Zusammenstellung veranschaulicht, sind für Kinheim und Kindel unterschiedliche Szenarien für die Entstehung ihrer Ortsnamen vorstellbar.

  1. Kin-heim, Ortschaft mit dem fränkischen Namensgeber „Kin odr Kyn“
  2. Kennheim (im Dialekt als Kunem oder Cunem ausgesprochen) könnte sich aus dem lateinischen „cuneus“ gebildet haben, das für „Keil“ steht. Möglicherweise für eine Eisenkeil, der für die Steinbearbeitung im Eisenerzabbau genutzt wurde.
  3. Kin könnte sich gebildet haben aus „kien“, einer bereits althochdeutschen Bezeichnung für den Kienspan (Span aus Kiefernholz), der ebenfalls bei den Kelten im Bergbau für die Lichterzeugung unter Tage eingesetzt wurde.
  4. Cunem könnte entstanden sein aus dem Wortgebilde Cu-nem, wobei „Cu“ oder „Ku“ den Rest des lateinischen „collis“ für Grabhügel abbildet und „nem“ ein Rest des lateinsichen „nemo“ darstellt, das in der Bedeutung von niemand oder unbekannt stehen kann. Zusammen in der Bedeutung: „Grab eines Unbekannten“. Dafür spricht auch eine alte Kinheimer Flurbezeichnung namens „colai“, die auf ein altes keltisches Hügelgrab verweisen könnte. Karl-Heinz Cüppers, ehemaliger Direktor des Landesmuseums Trier erwähnte 1985 eine vermutete spätrömische Höhensiedlung mit der Bezeichnung Colai in Kinheim (Quelle Heinz Cüppers,Spätrömische Höhensiedlungen in Eifel und Hunsrück, Trierer Beiheft 7, 1985)
  5. Ein weiterer Kinheimer Flurbezirk mit bergbaulicher Relevanz könnte der Flurbereich „Seifengraben“ darstellen, in dem sich auch ein Bachlauf mit gleichen Namen befand, der Seifenbach. Als „Seifen“ werden mineral- und erzhaltige Lagerstätten bezeichnet, wie sie in Sedimenten wie Sand und Kies vorkommen können (Quelle Wikipedia, Seife). Handelte es sich um abbauwürdige Konzentrationen, so konnten die keltischen Bergleute hier im Tagebau die benötigten Erze gewinnen.
  6. Der Flurname Gungass in seinen Varianten Auf Gungass und an der Gungass, gebildet aus den Silben „Gun“ und „Gass“ kann auch als Hinweis für die ursprüngliche Siedlungsbzeichnung Cun oder Kun als verkürzte Form von „cuneus“ (Keil) interpretiert werden. Diese Fluren befinden sich an der verlängerten „Bohrgasse“, die von der Höhe aus nördlicher Richtung unweit der Pfarrkirche St. Martin in den Ort führt. Bezeichnete der Name den Weg vom Berg hinunter in die Siedlungseinheit Gun oder Kun (Cun)?
  7. Kindel könnte entstanden sein aus Kin-dell, wobei die Siedlung als Teil von Kin-heim in der Beisilbe des Namens „dell“ auf die besondere örtliche Situation Bezug nahm, dass im Bereich der Kluckertsbach bei Kindel ein tiefes Tal mit felsigen Hangbereichen von den Kelten möglicherweise bergbaumäßig genutzt wurde. Dieser Gemarkungsbereich führt noch heute den Namen Höhl, der sich aus Hell und Delle gebildet haben könnte. Hier wurde noch im 20. Jahrhundert Schiefer für den Hausbau gebrochen. Schnell wird im „Gesprochenen aus „Kinhehl“ ein „Kin-hell“ und daraus ein Kindell und schließlich der Ortsname Kindel.
    Diese These wird noch verstärkt durch den Umstand, dass auf einer handschriftlichen Skizze aus den Archiven der Reichsgrafen von Kesselstatt (Quelle Stadtbibliothek Trier) aus dem Jahre 1673 zur Gemarkung der Herrschaft Lösnich oberhalb von Kindel im dort heute vorhandenen Waldgebiet im Umfeld des „Rübenbergs“ etliche „Kaulen“ wie an einer Schnur gezogen in ostwestlicher Richtung eingetragen und eingezeichnet waren. Sie wurden als „Kaulen“ bezeichnet, die „alle Jahre renoviert werden“. Handelte es sich hier um ehemalige Abbaustätten von erzhaltigen Gesteinen oder Schiefer? Vertiefungen, die von der Benennung her auch in Richtung Höhle, Hell und Hehl gehen.

Alles in allem kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Ortsname Kinheim-Kindel einen Erstbezug zum keltisch römischen Bergbau zur Eisenerzgewinnung hat. Ein dazu benötigtes Werkzeug, der Eisenkeil mit dem lateinischen Namen „cuneus“ könnte hier namensgebend gewesen sein. Aus „cuneus“ wurde das mundartliche „cunem“, das zum „hochdeutschen Kinheim“ geführt hat.

Hinweise zur möglichen Entstehung der Ortsnamen Kinhein und Kindel (Aufstellung Jürgen Schmid)

Die ersten niedergeschriebenen Namensnennungen basieren auf der Sprache und Schrift des „Althochdeutschen“. Hier wurde versucht, die moselfränkische Mundart schriftlich festzuhalten. Dabei spielt das „Gesprochene und Gehörte“ die maßgebliche Rolle. Namen und Flurnamen, die bisher immer nur mündlich weitergegeben worden waren, konnten sich so auch schnell verändern und auch „verschliffen“ werden, was oft zur Veränderung der ursprünglichen Deutung führen konnte, zuweilen auch mit der Folge einer Sinnveränderung.

Deutsche Sprachperioden seit dem Mittelalter:

8. – 11. Jh.Althochdeutsch
11. Jh. – 1350Mittelhochdeutsch (Sprache des Mittelalters)
1350 -1600Frühneuhochdeutsch
1600 –Neuhochdeutsch
Tabelle Sprachperioden der deutschen Schriftsprache

Wortherleitungen aus dem Keltischen, Germanischen und Römischen müssen immer wieder in Betracht gezogen werden. Beispielhaft wäre hier zu nennen das moselfränkische „Kupp“ für Hügel, herleitbar aus dem lateinischen „Collis“oder dem Lateinischen „Culmen“ für Kuppe, Gipfel, Spitze.  Aus Kupp wurde Kuh, was einerseits an die Kuh als Nutztier erinnert, aber gleichzeitig einen Hügel benennt, der auch einen keltischen Grabhügel oder einen natürliche Erhebung in der Landschaft beschreiben konnte. Flurbezeichnungen mit Kuh oder Küh im Namen geben oft einen Hinweise auf prähistorische Grabstellen (z.B. Hügelgräber der Kelten). So auch im Koblenzer Stadtwald mit dem Fernmeldeturm am „Kühkopf“, einem Gebiet mir vielen nachgewiesenen keltischen Grabstellen.

Namensnennungen von Kinheim und Kindel in schriftlichen Dokumenten:

  • 1148 Abtei Echternach nennt Weinbergsbesitz in Kennheim
  • 1500-1612 Kyndem (FB Kröver Reich, S 27)
  • 1652 Kinhem und Kindell (Gemarkungskarte zum kurkölnischen Amt Zeltingen)
  • 1673 Kunem, Kindel, Gemarckung Kunheim (Karte Herrschaft Lösnich, Kesselstatt)
  • 1688 Kenem, Kinnel (Vogin Karte,  Mont Royal)
  • 1715 Kinheim (FB Kröver Reich, S. 37)
  • 1720 Kinheimb, Kindel (FB Kröver Reich, S. 38 und 44)
  • Jahr ? Kenelle (Kindel) -> gerne gedeutet als „Kind von Kinheim“
  • 1296 Kynheymerbüren= Kinderbeuern im Alftal bis 1740 zu Kinheim eingeliedert

In der ortsbezogenen moselfränkischen Mundart wird das heutige Kinheim als „Kunnem“ gesprochen, Kindel bleibt jedoch unverändert „Kindel“. Auffallend im Kinheimer Dialekt ist die Lautumformung des i nach u. Aus „Spinnenseil“ wird „Spunnesäl“. So erscheint die Bezeichnung „Kunem“ bereits in einer Karte von 1673 als logische Dialektvariante. Aus dem benachbarten Ort Kinderbeuern wurde so schnell das „Kunnabeire“.

Weitere Beipiele zu Dialektenflüssen und aus dem Lateinischen entliehene Bezeichnungen

  • (K)Gungass (Flurname) – Kunem – Kindell (Kundell)
  • Colai  ….->keltische Grabhügel  <-lat. Collis=Hügel
  • Cuneus = Keil (lat.), Eisenkeil, auch Bezeichnung für Schlachtformation der Germanen und Römer
  • Gass=Quartier, Viertel, Stadtviertel, befestigte schmale Straße von Bäumen, Mauern oder Felsen eingerahmt
  • Ku(h)=Hügel, collis (lat.)
  • nem(o)= niemand (lat.)
  • am Bundel, in der Grube (Kinheimer Flurnamen)

Bundel könnte sich aus Bunsel gebildet haben, dass z.B. im Dialekt die bohnenartige Schaafs- oder auch Hasenlosung beschreibt. Die Kelten und Römer gewannen aus bohnenförmigen Steinchen (Bohnerz), die bis zu 76 % Eisenerz enthielten, das begehrte Eisen mit Hilfe ihres „Rennofenverfahrens“.

Die „Luppe“ wurde als Roheisen weiter geschmiedet und zum fertigen Produkt verarbeitet. Das Verfahren verbrauchte sehr viel Holzkohle. Die abwechselnde Schichtung von Erz und Kohle wurde auf 1200 Grad erhitzt, wobei dann die Schlacke abfloss und sich der Eisenklumpen „Luppe“ am Boden des Ofens bildete.

So finden sich in Kinheim die Flurbezeichnungen Bundel, Binschel, Gungass, Grub und Colai (heute verschwunden) wieder.

Flure Kinheim (Foto Jürgen Schmid)

Kindel

Der  rechtsseitig der Mosel gelegene Ortsteil Kindel, 1652 auch Kindell reichte gemarkungsmäßig etwa von der  Böngertsbach bis hinaus über die Kluckertsbach in den Flur Langefuhr und Höhle, mit die Höhle und an der Höhle und am Moselufer die Krebswiese (Kataster 1829).

Unweit der Böngertsbach wurde Mitte der 1970er Jahre eine römische „villa rustica“ freigelegt. Im Innenbereich stieß man auf eine Sandsteinskulptur des Weingottes Sucellus.

Nachbildung der Skulptur des Secullus von Kindel (Foto Jürgen Schmid)

An der Gemarkungsgrenze zum Lösnicher „Hinterwald“ am Kluckertsbach wurde ebenfalls in den 1970er Jahren ein großräumiges römisches Landgut mit 10 Gebäuden und einem Friedhofsbereich freigelegt. Zu diesem Landgut gehörten eine Weinkelter, eine Brauerei, ein Tempelbezirk eine kleine Schmiede. Am Kluckertsbach betrieben die Römer (heute Kinheim-Kindeler Gemarkung) auch ein Mühle. Im Bereich des Haupthauses gab es auch Hinweise auf eine mögliche Münzprägestätte der früheren Siedler, der Kelten.

Das Tal der Kluckertsbach (Foto Jürgen Schmid)

Es wäre möglich, dass der Bereich Kluckertsbach mit seiner felsigen Schlucht Einfluss auf die Namensgebung von Kindel gehabt haben könnte. Der Flurname Höhle, in der örtlichen Mundart auch heute noch als  „Hehl“ oder Hell gesprochen, könnte zum  „Anhängsel“ zu „-del oder –dell“ bei Kindel geführt haben. In Verbindung mit Cun  oder Kun, der Stammsilbe von Kinheim folgend, könnte sich durch „Verschleifung“ aus Cun-hehl > Cun(d)hell >Cundell > Kindell > Kindel gebildet haben.

Das Umfeld der Kluckertsbach mit seinen Steinkaulen wurde noch im 19. Jahrhundert zur Gewinnung von Schiefersteinen für den Hausbau genutzt (Beispiel aus Lösnich bekannt: „Die Stän woaren aus der Kindeler Hehl“. War die „Hell“ bereits  von den Kelten und Römern auch zur Eisenerzgewinnung genutzt worden und damit ein wirtschaftlich wichtiger Flurbereich?
Die beiden in der Nähe befindlichen römischen Landgüter könnte dabei auch eine Rolle gespielt haben. Im 18. Jahrhundert nutzten die „Sponheimer“ die Kluckertsbach noch zum Betrieb von Mühlen. Im unteren Teil der Kluckertsbach sind noch Mauerreste vorhanden, deren Ursprung noch nicht geklärt ist. Im selben Bereich ist die Sohle des Baches mit hochkant gestellten Schiefersteinen und Seitenwänden befestigt.

Heute versiegt der Kluckertsbach etwa 30-50 m obehalb dieser Stelle ganz plötzlich im felsigen Bachbett. Das lässt vermuten, dass sich dort unter dem Bachbett Hohlräume gebildet haben, bzw. vorhanden gewesen sind, die das Wasser ständig aufnehmen. Das wäre einmal genauer zu untersuchen.