Die Fischergasse weist die Besonderheit auf, dass sie als Verbindungsstraße zwischen Hauptstraße und Uferpromenade (Gestade Straße) plötzlich zweigeteilt wird. Der Häuserbestand geht zurück bis ins 17. Jahrhundert. Von der Hauptstraße aus gibt die beginnende Gasse den Blick frei auf ein schönes altes Fachwerkhaus. Von der Uferpromenade hat man den Blick auf ein imposantes Fachwerkhaus, ein ehemaliges Winzerhaus mit ummauertem Hofraum.
Bei der Suche nach der Namensherkunft der Straße drängt sich der Interpretationsversuch auf, dass in dieser Straße einmal Fischerfamilien gewohnt haben könnten, die ihren Lebensunterhalt überwiegend durch die Fischerei in der Mosel bestritten haben. Im erstem Moment durchaus denkbar, doch schnell kommen auch Zweifel zu dieser These auf. Die Straßennamen sind in der Regel schon sehr alt und können in ihren Ursprüngen oft bis ins Mittelalter oder sogar bis in die römische und keltische Zeit zurückverfolgt werden. In Bezug auf die Fischerei ist nun zubedenken, dass Lösnich bis in die französische Zeit (1794-1815) ein Herrschaft mit Hochgerichtsbarkeit im Besitz adliger Grundherren gewesen ist. Das brachte mit sich, dass die „Fischerei“ in Verbindung mit der „Jägerei“ ein ausschließliches Privileg der Grundherren war, geregelt im sogenannten Scheffenweistum, der Rechtsvereinbarung zwischen der ortsansässigen Bevölkerung und den adeligen Grundherren. Dieses Recht konnte konnte zwar von der Herrschaft verliehen werden, aber dass ein ganzer Berufsstand daraus entstand, ist eher unwahrscheinlich.
So lohnt es sich, den Straßennamen weiter auf seine Wortbestandteile zu untersuchen. Die Straßennamen, die erst ab 1829 von den preußischen Landvermessern schriftlich festgehalten wurden, ergaben sich aus dem gesprochenen Wort der Ortsansässigen mitgeteilt in „umgangsprachlicher Form“ also im „Lösnicher Platt“. Aus der „Fischagas“ wurde damit die aufgeschriebene „Fischergasse“, was durchaus plausibel erscheint. Aber nun kann es spannend werden. Entspricht dieses „gehörte“ Fischagas tatsächlich der Bedeutung „Fischergasse“?
Bei der weitergehen Suche nach dem Ursprung des Namens bietet sich auch hier an, nach mögliche lateinischen Abstammungen der Wortelemente Ausschau zu halten. Und hier bieten sich durchaus einige interessante Begrifflichkeiten an.
Zu „Fischa“
fissio = das Spalten, Zerteilen
fiscus = geflochtener Kob, Geldkorb, Staatskasse, kaiserliche Privatkasse
Zu „Gas“
cassus = leer, hohl, beraubt, entbehrend, nichtig, eitel, unnütz, vergeblich
casa = Hütte, Haus
cassis = Sturmhaube, Helm, Krieg, Netz, Falle
Deutungsversuche
fissio (lat.) gas (dt.) > zerteilte Straße, Gasse (durchaus denkbar)
fiscus cassus (lat.) > leerer Geldkorb, Wohnstraße armer Leute
fiscus cassis (lat.) > Sturmhaube, Helm aus geflochtenem Material (Beispiel Kettenhemd)
fiscus casa (lat.) > geflochtene Hütten (keltische Häuser)
Zieht man die keltisch-römische Vergangenheit Lösnichs in die Betrachtung mit ein, so hat die mögliche Entstehung des Namens „Fischagas“ aus dem römischen „fiscus casa“ durchaus einen gewissen Charme. War hier im Bereich der Fichergasse einmal eine keltische Ansiedlung mit ihren typischen Wohnhütten, deren Wände aus geflochtenem und mit Lehm verdichteten Material bestanden? Die Römer stießen während ihrer Zeit an der Mosel sicher auf derartige Keltenhütten. Diese Hütten standen in der Regel in einem mit Flechtwerk umzäunten Gartenbereich, der auch als befestigte Einheit mit einem Wall-Graben System eine sogenannte „keltische Viereckschanze“ bilden konnte zum Schutz gegen feindliche Eindringlinge.
Ein Kartenwerk von Tranchot & Müffling, entstanden von 1803-1820 zeigt im Bereich der Fischergasse einige Auffälligkeiten gegenüber der heutigen Situation vor Ort. An den Häuserblock der Fischergasse schloss sich in östlicher Richtung hin zur heutigen Untergasse ein großer damals noch unbebauter Gartenbereich an, der an zwei Seiten von einer Baumreihe flankiert war. Handelt es sich hier womöglich um ein Areal, dass sich aus einer derartigen keltischen Viereckschanze in der Ortslage erhalten hatte? Denkbar wäre es. Im Bereich der nahegelegenen Sperrgarten Straße soll man beim Ausbau eines Kellers nach Aussage eines Zeitzeugen einmal auf eine „seltsame mit Steinen umgebene kreisrunde ehemalige Feuerstelle“ gestoßen sein, die jedoch nicht weiter untersucht wurde. Möglicherweise handelte es sich sogar um eine Feuerstelle keltischen Ursprungs?
Weitere Viereckschanzen könnten sich angeschlossen haben bis hin zur Oberstraße. Die größte davon könnte die riesige Freifläche zwischen Breite Straße und Fährgasse gebildet haben, an die sich das Areal der Burg anschloss. Dafür spricht auch die gesamte Dorf- und Straßenanlage Lösnichs mit ihren zwei zentralen Straßen, der Hauptstraße und dem Gestade zur Moselpromenade hin. Die Querstraßen könnten die Abgrenzungen der Schanzen gebildet haben. Erinnert die Straße „Schulgraben“ noch an einen dieser Keltengräben? Ein Bachlauf zur Mosel existiert in diesem Bereich zumindest nicht. Anders verhält es sich an der Oberstraße, die sich westlich an die Verlängerung des „Kirchgrabens“ anschließt, der dort von der heute verrohrten „Oberbach“ durchflossen wird.
Der Begriff „fisci“, aus dem dem sich der Name Fischergasse, wie bereits erwähnt gebildet haben könnte, erlaubt noch eine weitere interessante Deutungsmöglichkeit. Zur Zeit Karls des Großen um 800 wurden auch königliche Güterbezirke als sogenannte „fisci“ bezeichnet. Diese befanden sich häufig an strategisch wichtigen Punkten und wurden als königliches Eigentum mit vertrauenswürdigen königlichen Untertanen besetzt (Q. Dr. Hans Reuter, Ein fränkisches Grenz- und Siedlungssystem in den karolingischen Südostmarken). Noch erwähnenswert, dass sich noch heute ein mit Schiefersteinen befestigter runder Brunnenschacht im Bereich kurz vor der Gabelung der Fischergasse in Richtung Ortsmitte befindet. Könnte es sich bei der oben beschriebenen ehemaligen Grünanlage an der Fischergasse eventuell auch um einen derartigen heute vergessenen königlichen Gutsbezirk gehandelt haben?