Die Breite Straße

Die „Breite Straße“ in Lösnich ist eine Verbindungsstraße zwischen der Hauptstraße und dem Gestade am Moselufer. Im Preußischen Urkataster von 1829 verlief genau hier die Trennlinie von Flur II (Unterdorf) und Flur III (Oberdorf).

Breite Strasse
Ortslage Breite Straße Lösnich (Skizze Jürgen Schmid)

Im ersten Ansatz lässt der Straßenname auf eine breite Straße schließen. Aber genau das Gegenteil ist hier der Fall. Sie gabelt sich auf ihrem Weg in Richtung Mosel, wo sie eher sehr schmal wird. Wie kann dieser Name mit dieser Straße dennoch einigermaßen sinnvoll in Verbindung gebracht werden? Was könnte es auf sich haben mit dieser sonderbaren Bezeichnung für eine der schmalen Gassen in Lösnich? War es eventuell eine „Verballhornung“, oder ein Ausdruck des besonderen Humors der Lösnicher?

Wie so häufig, bieten sich auch hier mehrere Herkunftsvarianten an, von den im Folgenden zwei dargestellt werden

Die „Brädsgas“ in Nachbarschaft einer großen innerörtlichen Gartenanlage(Foto Jürgen Schmid)

Im ersten Fall kommen wieder die „Lösnicher Urbewohner“ aus keltisch-römischer Zeit ins Spiel. Auf den ersten Blick scheint es durchaus folgerichtig, dass die preußischen Landvermesser bei der schriftlichen Dokumentation der Parzellen und Straßen ab 1829 den mundartlich überlieferten Straßennamen „Brädsgas“ mal einfach als „Breitstraße“ ins Neudeutsche übertrugen. Aber ob das der Weisheit letzter Schluss war, darf angezweifelt werden.

Die Einmündung von der Hauptstraße in die Breite Straße (Foto Jürgen Schmid)

Aber genau in dieser mundartlich überlieferten „Brädsgas“ könnte ein Schlüssel zur Entstehung des Namens liegen. Da in der Region und in der nahen Umgebung von Lösnich die Römer sehr präsent waren, zum Beispiel mit ihrer Höhensiedung im Lösnicher Hinterwald, ihrem römischen Landhaus oberhalb von Kindel, dem römischen Weinkelter bei Erden und einem möglich Siedlungsbereich beim heutigen Lösnicher Friedhof ist es auch möglich, dass sie hier am Moselufer ansässig wurden. Dies führt zu einem sehr interessanten Aspekt zur Erkundung der Namensherkunft der „Brädsgas“.

Dieses innerörtlich außergewöhnlich große Grundstück in der Mitte des Dorfes könnte ein römisches Anwesen gewesen sein, für das im Lateinischen die Bezeichnung „praedium“ gängig war (Quelle Pons Online Wörtebuch, Latein-deutsch). Aus dieser historischen Bezeichnung „praedium“ könnte sich aus der Übernahme der ersten Silbe „praed“ ins Althochdeutsche (Mundart) die Bezeichnung „präd“ oder „bräd“ gebildet haben, die ursächlich wurde für den heutigen Straßennamen „Brädsgas“.

Die Brädsgas war auch gleichzeitig die Fortsetzung des „Hohl- oder Hollenweges“ (1675), der aus dem Lösnicher Grubenrech in den Ort führte. Die „Brädsgasse“ wiederum führte in ihrer Verlängerung direkt ans Moselufer. Alte Aufnahmen lassen vermuten, dass sich hier auch einmal ein größerer Anlegeplatz von Kähnen oder Nachen befunden hat.

Anlegeplatz an der Mosel links als Verlängerug der „Brädsgas“ um 1950 (Foto Bestand N. Franz)

Im Bereich der Breiten Sraße befinden sich auch die heute ältesten Häuser von Lösnich und bildeten wahrscheinlich den frühen Ortskern von Lösnich.

Haus Breite Straße von 1661 (Foto Jürgen Schmid)
Historische Hausfassade in der Breitestraße (Foto Jürgen Schmid)
Türsturz von 1670 in der Breite Straße (Foto Jürgen Schmid)

Bei einem der Häuser fällt die Aufmerksamkeit auf den alten sandsteinumfassten Eingangsbereich mit der Jahreszahl 1670 und einer noch erhaltenen Hausmarke, die wohl ein „Stundenglas“ darstellen soll. Genau dieser Bereich führt zu einer zweiten Möglichkeit zur Herleitung der Namensherkunft der Straße. Könnte dieses Haus womöglich mit ursächlich sein für die Entstehung des Straßennamens „Brädsgas“ (Mundartsform von Breite Straße)?

Hierzu muss man wissen, dass im 17. Jahhundert Johann Bernhard Schurph das Amt des Schultheißen der Herrschaft Lösnich bekleidete. Die Familie hatte dieses Amt in der Folgezeit fast 2 Jahrhunderte inne. Könnte dieses Haus aus dem Jahre 1670 mit dem Stundenglas als Hausmarke das Wohnhaus dieses Johann Bernhard Schurph gewesen sein? Die geschickt in die Tausenderziffer 1 der Jahreszahl 1670 eingearbeiten Initialen könnten durchaus als die Anfangsbuchstaben (J)ohannes (B)ernhard (S)churph gedeutet werden. 1829 war das Haus in Besitz einer Familie Schweisthal, die seit dem 18. Jahrhunderts auch familiäre Verbindungen zur Familie Schurph (Verehelichungen) pflegte.

Türsturz von 1670 in der Breite Straße im mit den Initialen JBS (Foto Jürgen Schmid)

Wenn dies tatsächlich der Fall wäre, ergäbe sich ein möglicher Zusammenhang zum Ursprung des Straßennamens. Der Schultheiß, (heute vergleichbar mit dem Bürgermeister oder Gemeindevorsteher) wurde auch als „Praetor“ bezeichnet. So nachweislich auch Schultheiß Johann Bernhard Schurph, der gleichzeitig auch die Funktion eines „kaiserlichen Notars“ ausübte und Dokumente und Urkunden gleichzeitig als Schultheiß und Notar abzeichnete. Für die Herrschaft Lösnich existieren noch mehrere schriftliche Nachweise dieser Art zu Bernard Schurph aus dem 17. Jahrhundert (Quelle Archiv der Reichsgrafen von Kesselstatt, Trier). Ist damit der Straßenname „Brädsgas“ einfach entstanden aus „Prätsgass„, die in ihrer Bezeichnung einfach auf den Wohnplatz des Lösnicher „Prätors“ (Schultheißen) hinwies?

Die Amtsbezeichnung Praetor stand im Mittelalter für das Amt des Richters. Sie leitete sich her aus dem Lateinischen als Bezeichnung für das höchste Richteramt in Rom (Quelle Wikipedia, Praetur). Im Zivilstand wurde es dann auch für den Bürgermeister verwendet. Der Schultheiß (Praetor) in Lösnich führte Kraft seines Amtes auch den Vorsitz des Lösnicher Hochgerichts.

Doch die Deutungsmöglichkeiten sind damit noch nicht erschöpft. Prominente Vergleichsobjekte  aus der Antike und dem Mittelalter bieten sich zur weiteren Analyse der Namensgebung an.

Die Breite Straße in Köln

Hierbei ist an erster Stelle die weit bekannte Einkaufsmeile „Breite Straße“ in  Köln am Rhein zu nennen.  Auf „kölsch“  kurz als   „Breitstroß“ bezeichnet war sie die ehemals breitestet Straße im römischen Köln (Cologne). Sie führt heute in der Kölner  Altstadt in Ost-West Richtung vom Kolping Platz bis zur Apostelnstraße. Die knapp 15 Meter breite Straße diente ursprünglich als römische Heerstraße und wurde im Lateinischen auch  „lata platea“  genannt. Die in ihrem Umfeld gefundene römische Bebauung lässt auf eine Entstehung  zwischen 31 vor bis  14 nach Christus schließen  (Quelle Wikipedia). „Lata“ steht dabei für breit und „platea“ für Straße, Gasse, Platz und Hof.  

Der Breite Weg in Magdeburg

Eine ähnliche Situation findet sich in Magdeburg wieder. Die hier als „Brede Weg“ bezeichnete Straße „Breiter Weg“ wurde 1225 auf lateinisch ebenfalls als „lata platea“ bezeichnet und führt damals als alte Heerstraße an Magdeburg vorbei (Quelle Wikipedia).

Die Breite Straße in Berlin Neukölln

Als letztes prominentes Beispiel ist auch in Berlin Neukölln eine  „Breite Straße“ zu finden, eine in ihren Ursprüngen große breite marktartige Straße mit Bezug zum historischen Fernhandel (Quelle Wikipedia).

Folgerungen für die Breite Straße in Lösnich

Könnte also auch die Lösnicher „Breitstraße“  in ihrem Ursprung ein wichtiger römischer Straßenzug  mit vergleichbaren Nutzungszwecken  gewesen sein ? Interessant ist, dass sie von der Hauptstraße in Süd-Nord Richtung verlängert bis zum Lösnicher  Moselufer führte und an einem alten Fährkopf endete, dessen verbliebener Rest jedoch Anfang der 1960er Jahre ein Opfer der Moselkanalisierung  wurde.

Die heute bebaute Umgebung der Straße zeichnet sich dadurch aus, dass sich links der Straße Richtung Mosel links die ältesten noch in Lösnich erhalten Häuser aus dem 17. Jahrhundert befinden. Die Verlängerung oberhalb der Hauptstraße  in Richtung des Lösnicher Flurs „In der Grub“ bildete der bereits erwähnte alte Hohl- oder „Hollweg“. Rechts dieses Flurweges  befinden sich interessanter Weise die Flurdistrikte  „Blenderteich“ und „ Blendertriesch“  (Bezeichnungen aus dem preußischen Urkataster von 1829). Desweitern biegt von der Hauptstraße  Richtung Westen ein Weg mit der heutigen Bezeichnung  „Am Blenter“ ab.

Geht man davon aus, dass das Gelände zwischen der heutigen Breite Straße  und der parallelen Schulstraße, früher auch als Schulgraben bezeichnet, in römischer Zeit und im frühen Mittelalter auf halber Strecke in einer Breite von etwa 25 m noch unbebaut war, so könnte hier durchaus eine „breite Straße“  bis zur Mosel geführt haben. In Verbindung  mit den anschließenden Flurdistrikten oberhalb der Hauptstraße  mit den Bezeichnungen  Blenderteich und Blendertriesch, möglicherweise entstanden durch die  „Verschleifung“ des römischen Wortstamms „platea“  (Straße, Gasse, Platz) könnte es sich auch hier in Lösnich um eine alte römische „lata platea“ gehandelt haben, die über die Jahrhunderte  als „Brädsgass“ oder Breite Straße im Namen erhalten blieb.

War diese Straße womöglich die hier vermutete  alte Heerstraße, die von römischen Truppen genutzt wurde und hier über eine Furt die Mosel zu überquerte? Auf der gegenüberliegenden Moselseite führte ein Weg weiter in Richtung Kinheimer Berg zur dortigen alten Römerstraße und durch Kinheim über die Kinheimer Höhe  in Richtung  Kröv, wo ebenfalls ehemalige römische Bebauung nachgewiesen ist,