Der „Achsenknick“ in der Friedhofskapelle Lösnich

Die Friedhofskapelle Lösnich ist die noch erhaltene historische Bausubstanz der ehemaligen Lösnicher Pfarrkirche St. Vitus. Nach dem erfolgten Neubau der Kirche in Dorfmitte mit seiner Grundsteinlegung 1879 wurden Schiff und Turm der alten Kirche nach 1881 niedergelegt. Chorraum und Apsis blieben jedoch vom Abriss verschont und bilden heute ein historisches Kleinod auf dem Lösnicher Friedhof. Der eindrucksvolle Haupteingang der alten Kirche mit dem schönen Deutschordenswappen wurde in den zugemauerten Bereich des ehemaligen Triumphbogens integriert und dient heute als Portal der Friedhofskapelle.

Die Jahreszahl 1638 unter dem Ordenswappen erinnert an das Jahr des Neubaus des Kirchenschiffes durch den damaligen Deutschordenskomtur Bernhard Roben von Lontzen.

Portalseite der Lösnicher Friedhofskapelle im integriertem alten Kirchenportal von 1638 (Bild Jürgen Schmid)
Blick von Südwesten auf die Friedhofskapelle mit dem ehemaligen alten Eingangsportal von 1638 und einem erhaltenen Fenstermaßwerk der alten Kirche mit sehr seltener gotischer Herzornamentik (Foto Jürgen Schmid)
Das Hochmeisterkreuz des Deutschen Ordens über dem Portal der Friedhofskapelle (Foto Jürgen Schmid)

Die erste Erwähnung der alten Lösnicher Kirche erfolgte 1066 im Zusammenhang mit der Beisetzung des  designierten und dann in der Ürziger Urley ermordeten Erzbischofs von Trier, Kuno von Pfullingen bei der Kirche in Lösnich. 1131 bestätigte Papst Innozens II. dem Cassiusstift in Bonn seine Besitzungen, wobei auch die Kirche von Lösnich genannt wurde.

Laut einer Urkunde Friedrichs I. aus dem Jahre 1182 gehörte das Patronat in Lösnich  im selben Jahr zur Reichsabtei  St. Maximin, dem größten und einflussreichsten der vier Benediktinerklöster in Trier. Von hier gelangt es in den Besitz der Benediktiner in Mönchengladbach. Von dort gelangte es durch Verkauf an Heinrich und Mechthild von Sayn, die ihren Sitz in ihrer Burg in Bendorf-Sayn zwischen Koblenz und Neuwied hatten. 1252 erfolgte die Schenkung des Pfarrkirche mit Patronat und den Filialkirchen Erden, Rachtig und Zeltingen an den Deutschen Orden durch Mechthild von Sayn, die zu diesem Zeitpunkt bereits Wittwe war.

Inhaber des Lösnicher Patronatsrechts ab 1131 (Jürgen Schmid)

Als früheres 2. Kirchenpatronat  soll es das Patronat  der Hl. Markus gegeben haben. Am Hochalter der Kirche war auf der Evangelienseite das Bild des Hl. Markus.

1638 erfolgte ein Neubau des Kirchenschiffs durch den Landkomtur der Ballei Lothringen, Bernhard Roben von Lontzen. Danach könnte die Kirche wie auf auf der folgenden Skizze nachgestellt, ausgesehen haben. Der Rekonstruktionsversuch basiert auf Hinweisen von Pfarrer Paul Koster und seinen nach dem Abriss 1881 erstellten Grundrisszeichnungen und seinen Angaben zum Aussehen der Kirche in einer Festschrift von 1928.

Versuch einer Rekonstruktion zum Aussehen der alten Pfarrkirche nach dem Neubau von 1638 (Skizze Jürgen Schmid)

Das fast quadratische Schiff hatte ein Länge von ca. 13 Metern, der Chorraum mit Apsis von etwa 5 Metern und der Turm von etwa 4 Metern.

Rekonstruktion des Standort der ehemaligen Kirche aus der Vogelpespektive (Foto Jürgen Schmid)
Rekonstruktion des Standorts der ehemaligen Kirche aus südlicher Perspektive (Foto Jürgen Schmid)

Gab es hier baum Bau der Kirche den glücklichen Zufall, dass neben den römischen Grundmauern auch noch ein römischer Torbogen wiederverwendet und mit in die Kirche integriert werden konnte?

Die Besonderheit des Achsenknicks in der alten Lösnicher Pfarrkirche

Beim Bau von Kirchen wurden bereits im Mittelalter die Längsachsen gezielt nach Osten ausgerichtet,  Chor und Altar lagen damit in Richtung der aufgehenden Sonne. Aber auch weitere Gesichtspunkte konnten die „Ostung“ beeinflussen. So auch der Sonnenaufgang zum Zeitpunkt des Jahrestags des Patroziniums. In Lösnich wäre das der 15. Juni, der Jahrestag des St. Vitus Patroziniums. Wurden Teile der Kirche erneuert,  zum Beispiel Langhaus oder Chor, und hatte sich das Patrozinium zwischenzeitlich verändert, so konnte sich damit auch die Ausrichtung des erneuerten Baubereichs ändern in Abhänigkeit des Sonnenaufgangs zum  Jahrestag des neuen Patroziniums .

Ein derartiger Achsenknick ist auch im noch erhaltenen Chor der Friedhofskapelle deutlich zu erkennen, insbesondere an zwei Schlusssteinen  der Rippen im Gewölbe.

Auffälligkeiten zum Achsenknick im Deckenbereich (Foto Jürgen Schmid)

Erste bekannte bauliche Veränderungen zum Kirchenbau fallen in das Jahr 1516 und 1638. Eine Akte aus dem Jahre 1516 zum Bau eines neuen Turmes gibt Auskunft über die  Übernahme der Kosten innerhalb der benachbarten Gemeinden Lösnich und Erden. 1638 lässt Bernhard Roben von Lontzen Landkomtur des Deutschen Ordens das Kirchenschiff aus den Grundmauer neu errichten.

Könnte der feststellbare Achsenknick nun im Zusammenhang liegen mit einem früheren ersten Patrozinium?

Paul Koster, ehemaliger Pfarrer in Lösnich erwähnte in seinem pfarrgeschichtlichen Beitrag in der Festschrift zum Sängerfest 1928 in Lösnich, dass es in Lösnich neben dem Patronat St. Vitus eine frühereres zweites Patronat des Hl. Markus gegeben haben soll.

Bereits 1815 erwähnte Pastor Meyer  im Rahmen einer schriftlichen  Diskussion bezüglich der Mutterpfarre der Ortschaften Lösnich, Rachtig, Erden und Zeltingen ebenfalls den Hl. Markus als zweiten früheren Kirchenpatron.

Die ehemalige Kirche in der üblichen West-Ost Ausrichtung:

Veranschaulichung zur Ostung eines Kirchenbaus (Jürgen Schmid)

Der  im Kreuzrippengewölbe des Chorraums feststellbare Ausrichtungsversatz findet sich auch im Fußbodenbereich wieder.

Spuren des Achsenknicks im Fußbodenbereich (Foto und Markierungen Jürgen
Schmid)

Das St. Vitus Patrozinium Zum Zeitpunkt des Erneuerung des Kirchenschiffs 1638 konnte damit gegenüber dem ehemaligen Markus Patrozinium bei der früheren Erbauung der Kirche diesen Vorgang des Achsenknicks verursachen. Die Neuausrichtung des Langhauses zum Sonnenaufgang am 15. Juni, dem Jahrestag des St. Vitus Patroziniums, führte zu einer Winkelveränderung der Hauptachse in Richtung Norden.

Der Winkel des Aufgangs der Sonne am Horizont zum Süden hin spielt hier die entscheidende Rolle. Dieser Winkel, auch als Azimut bezeichnet, üblicher Weise bezogen auf die genaue Südrichtung, ändert sich mit dem Lauf der Sonne täglich. Nimmt man die Gedenktage des Hl. Markus und des Hl Vitus (25. April und 15. Juni mit 51 Tagen Unterschied), so ergibt sich eine  leichte Drehung der West-Ost Richtungsachse in Richtung Norden (Drehung der Längsachse). So hält  der möglicherweise durch den Neubau des Langhauses verursachte Achsenknick noch heute die Erinnerung an die Existenz der beiden Kirchenpatrone fest.

Schema der Abweichung der West-Ost Ausrichtung der GEdenktage der Patrone St. Markus und St. Vitus nach dem Neubau des Kirchenschiffs 1638.
Der sichtbare Achsenknick im Innenraum der Kapelle (Foto Jürgen Schmid)

Es ist naheliegend, dass das Kreuzrippengewölbe in diesem Abschnitt des Chores an die Achsenausrichtung des neuen Schiffes angepasst wurde, um die Ausrichtungsverschiebung vom Langhaus gesehen weniger auffällig zu gestalten, oder auch dieses Bereich erneuert wurde. Dies ist an den Aufliegern der Rippen des Gewölbes noch deutlich zu erkennen.

Die unterschiedlichen Abstände der Auflieger zu Frontseite der Kapelle, markiert in der vorangehenden Abbildung geben jedoch weitere Rätsel auf. Wurde die Frontseite mit dem heute zwar überstrichenen aber noch erkennbaren Triumphbogen vom Langhaus (Schiff) in den Chorraum mit dem Schiff neu errichtet, oder der alte beibehalten?

Rippen des Gewölbes mit erkennbarer Drehung (unterschiedliche Abstände der Auflieger im Bereich der Außenwände mit recthts vergrößerten Abstand zur Portalseite.

Die unterschiedlichen Abstände der Auflieger zu Frontseite der Kapelle, markiert in der vorangehenden Abbildung geben jedoch weitere Rätsel auf. Wurde die Frontseite mit dem heute zwar überstrichenen aber noch erkennbaren Triumphbogen vom Langhaus (Schiff) in den Chorraum mit dem Schiff neu errichtet, oder der alte beibehalten?

Das aus dem Kirchenschiff von 1638 eingebaute Fenster mit gotischem Maßwerk spricht für eine gotische Ausrichtung des Neubaus. Der Triumphbogen, ein typischer romanischer Rundbogen deutet auf eine frühere Bauperiode hin, also auf den Erhalt der Bausubstanz eine Vorgängerbaus.