Aufm Wittum

Beim Flurnamen „Aufm Wittum“, auch Aufm Wittem ist der Bezug zur alten Lönicher Pfarrkirche in direkter Nachbarschaft des Flures offensichtlich. Wittum ist ein Begriff aus der mittelalterlichen Rechtssprache. Es beschreibt ein „gewidmetes Gut“, das zur Versorgung des Geistlichen der Pfarrkirche diente.

Der Flur Aufm Wittum westlich des Lösnicher Friedhofs (Skizze Jürgen Schmid)

Die Pfarrei Lösnich war um 1252, als sie von den Grafen von Sayn als Schenkung an den Deutschen Orden überging,  noch die Mutterkirche von Zeltingen, Rachtig und Erden. War sie von ihrem Ursprung her eine Eigenkirche des frühen ansässigen Ritteradels aus Lösnich, von welchen sie mit entsprechenden Widumsgütern ausgestattet worden zur Versorgung des „Kirchenbetriebes“?

Ein Großteil dieses Geländes ist heute noch sogenanntes „Kirchenland“, war aber bis zur Abschaffung des Feudalsystems im 18. Jahrhundert in der Hand der örtlichen Grundherren, der Reichsgrafen von Kesselstatt. Eine Parzelle der Reichsgrafen im Flur Aufm Wittum hatte noch 1829 ein Größe von über 6 Hektar. Um 1895 ging eine dem Friedhof benachbarte Parzelle von etwas über 2 Hektar zum Zweck der Pfarrerbesoldung als sogenanntes Pfarrdotalgut an den Katholischen Pfarrer von Lösnich. Um 1888/89 war bereits das heutige Pfarrhaus zum gleichen Zweck als Pfarrdotalgut von der Gemeinde an die Katholische Kirche bzw. den Pfarrer übergegangen (Quelle Preußisches Urkataster, Bestand 732, Landeshauptarchiv Koblenz, Außenstelle Kobern-Gondorf).

Ehemaliges Pfarrhaus Lösnich 2012 (Foto Jürgen Schmid)

Die Lösnicher Gemeinde hatte das Pfarrhaus, das ehemalige Herrschaftshaus Ende der 1850er Jahre von den Reichsgrafen erworben.

Erhaltener Chor der ehemaligen Pfarrkirche Lösnich auf dem Lösnicher Friedhof um 1950 (Foto Manfred Orthmann sen.)

Wittum und Eigenkirchenrecht

Das Recht zum Kirchenbau hatten im frühen Mittelalter auch Laien, Grafen und Herzöge, in der Regel also die örtlichen fränkischen Grundherren. Sie konnten  für diese „eigene Kirche“ den Pfarrer einsetzen und waren für alle Aufbau- und Erhaltungskosten verantwortlich, wozu diese Wittumsgüter bereitgestellt wurden. Die Blütezeit der Eigenkirchen geht zurück ins 9.-10. Jahrhundert.

Dies stieß jedoch mehr und mehr auf den Widerstand der Klerus und der Bischöfe. So wurde im 12. Jh. das Eigenkirchenrecht in das sogenannte Patronatsrecht gewandelt. Alle mit der Kirche verbundenen Ämter verlieh nun der Bischof. Die Schirmherrschaft über das Patronat lag weiter beim Grundherrn,  der auch das  Vorschlagsrecht für den Pfarrer behielt. Mit dem Patronat war jedoch die Kirchenbaulast und die Besoldung des Pfarrers verbunden.

Dieses Patronatsrecht konnte weitergegeben und verkauft werden. So wechselte auch das Patronatsrecht der Lösnicher Kirche mit den dazugehörigen Einkünften und den Filialen, Erden Rachtig und Zeltingen des Öfteren seinen Besitzer. Nachgewiesene Eigentümer waren:

  • 1131 St. Cassius Stift in Bonn
  • 1182 Reichsabtei St. Maximin in Trier (Benediktiner)
  • Abtei Mönchengladbach (Benediktiner, möglicher Weise Quelle  des Lösnicher St.Vitus Patroziniums)
  • Graf Heinrich von Sayn und Ehefrau Mechthild (Kauf von Mönchengladbach)
  • 1252 Deutsche Orden (Schenkung durch Ww. Mechthild von Sayn)
Der Besitzerwechsel der Lösnicher Kirchenpatronats ab 1131 (Zusammenstellung Jürgen Schmid)

Dieses Wittum von Lösnich in einer freien Reichsherrschaft mit einem ortsansässigen Rittergeschlecht (erstes urkundliches Auftreten im 13. Jh.) könnte ein Indiz dafür sein, dass die Lösnicher Kirche ihren Anfang als Eigenkirche der damaligen Grundherren genommen haben könnte, von wo sie im 12. Jahrhundert zur Zeit der Ablösung des Eigenkirchenrechts ins Patronatsrecht  in den Einzugsbereich des Cassiusstifts in Bonn gekommen war.

Seit dem 12. Jahrunder tritt das ortsansässige Adelsgeschlecht der Ritter von Lösnich nachweislich nicht mehr als Patronatsherr der Lösnicher Kirche auf , obwohl sich die Kirche in ihrem Herrschaftsbezirk befand. Dafür waren sie jedoch Patronatsherren der Kapelle im nahegelegenen Ort Bausendorf, der bis Aufhebung des Feudalwesens durch die Franzosen Ende des 18. Jahrhunderts immer zur Herrschaft Lösnich gehörte.

Der „bischöfliche Winkelzug“ und das Pfarrwittum

Nach der Auflösung des alten Kurstaates und Erzbistums Triers sollte Lösnich 1802 zur Succursalpfarrei erklärt erklärt werden, bei der der Staat zur Besoldung des Pfarrers 500 Franken jährlich zu zahlen hatte (Quelle .Pfr. Paul Koster Festschrift zum Sängerfest19828 in Lösnich, S. 20). Pfarrer Koster konstatierte 1928, dass der Lösnicher Gemeinderat am 10. Februar 1830 eine jährliche Lieferung von Most, Getreide und Stroh beschlossen hatte, die 1928 auch noch zu Recht bestehen würde. Die Aussage deutet schon an, dasses in dieser Zeit wohl ein „Gerangel“ um diese staatliche oder kommunale Pfarrerbesoldung gegeben haben muss. War bisher der „Deutsche Orden“ als Patronatsherr ausschließlich dafür zuständig, so hatte sich jetzt das Blatt gewendet. Das führte Ende der 1820 Jahre bis um 1910 zu einer prekären Situation in der Pfarrerbesoldung. Die oft schwierige finanzielle Lage der Kommune scheint auch in Lösnich allgegenwärtig gewesen zu sein. In die besagte Zeit fällt 1879 aber auch der Neubau der Lösnicher Pfarrkirche im Dorf.

So stellte sich wohl zunehmend die Frage, wie die Gemeinde die Besoldung des Pfarrers gewährleisten konnte. Vorab ist festzustellen, dass es in Lösnich durch die von den Franzosen (Französische Zeit 1794-1815) umgesetzten Säkularisation von 1803 dazu kam, dass die eigentliche Pfarrkirche über sehr geringen Eigenbesitz verfügte, dagegen aber die 1711 ins Leben gerufene Frühmessstiftung des aus Lösnich gebürtigen Mainzer Kaufmanns Johannes Weingärtner. Dies findet sich bestätigt in einer Dokumentation von Philipp de Lorenzi zur Geschichte sämtlicher Pfarreien der Diözese Trier von 1887. Hier schreibt er:

„Lösnich ist seit 1803 bischöfliche Pfarrei und zählt 464 Seelen. Die Kirchenfabrik besitzt keine Güter, die Frühmesserstiftung dagegen 3 Morgen Weinberge, 5 Morgen Äcker und 2 Morgen Wiesen.
Zum Pfarrwittum gehören jetzt 5800 Weinstöcke, 2 Morgen Äcker und 2 Morgen Wiesen. An Zusatzgehalt liefern die Einwohner beim Pfarrer 1 Fuder Wein, 6 Malter Frucht und 30 Z. Stroh. Das Pfarrhaus ist gut.“

In diesem Überblick wird nicht deutlich, dass der als „Pfarrwittum“ bezeichnete Besitzstand eigentlich aus der „Frühmesse“ stammte. Das hatte wohl seinen besonderen Hintergrund der im Jahre 1826 entstandenen Situation zur Frage der kommunalen Pfarrerbesoldung, die erst am 17. Mai 1910 durch den Bischof von Trier wieder korrigiert wurde.
Was war passiert?

Am 7. April 1910 machte der Bürgermeister von Zeltingen folgendes aktenkundig:

„Nach Aktenlage ist die Frühmesserstelle bis 1826 mit einem Geistlichen besetzt gewesen. 1826 starb Pfr. Peter Meyer von Lösnich (bezog Pension und geringes Einkommen). Bei Neubesetzung der Pfarrstelle war die Gemeinde gezwungen, einen Zuschuss von 500 Franken (Francs) zum Pfarreinkommen vorzunehmen, die solange gezahlt werden sollten, bis der Pfarrstelle ein Staatsgehalt bewilligt würde. Die Gemeinde hat den Antrag gestellt, bis dahin die Frühmesserstelle unbesetzt zu lassen und die Einküfte in das Pfarreinkommen einzubeziehen. Der Bischof war nicht geneigt, die Stiftungsbestimmung zu ändern. Er teilte am 12. Januar 1830 mit, den derzeitigen Pfarrer Zils als Frühmesser zu benennen und ihm das Seelsorgeamt zu übertragen. Damit fielen die 500 Franken für die Gemeinde weg. Über die Regelungsumsetzung ist nichts bekannt!“

1875 war das Einkommen des Frühmessers:

49,21 Ar Weinberg                 300 Thaler
84,42 Ar Ackerland                 60 Thaler
55,06 Ar Wiesen                     52 Thaler
Kapitalien                               50 Thaler
                                               ————
Gesamt:                                 462 Thaler

1899 allgemeine Regelung der Pfarrgehälter: 2.601,09 Mk (Ob Frühmesse enthalten ist nicht bekannt).

Der Grundbesitz der Frühmesse von 1 Hektar 88 Ar ist am 8.11.1887 als Frühmessereigut auf die Katholische Kirche eingetragen.

Am 17. Mai 1910 äußerte sich der auf die Lösnicher Situation zum Stelleneinkommen der Pfarrstelle Lösnich aufmerksam gewordene Bischof von Trier:

Seit 1711 existiert ein Frühmessfond (selbständige Stiftung des Kaufmanns Weingärtner aus Mainz). Eine Inkorporation in das Pfarrstelleneinkommen hat nicht stattgefunden. Damit beruhte die Aufteilung von 1898 auf einem Irrtum w/langer Vakanz des Frühmessers. Eine Korrektur im Kataster ist vorzunehmen. Die Einzüge fanden statt ohne besondere Gegenleistung.

Pfarrer Simon wurde informiert, für 1911 diese Einkünfte nicht mehr einzunehmen!

Quelle Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 655, Nr. 359 (1817-1830)

So hatte man in Lösnich mit einem geschickten „Winkelzug“ von 1826 bis 1911 die Einkünfte der recht begüterten Frühmessstifung für die Pfarrerbesoldung eingesetzt und diese Kosten für die Gemeinde eingespart.

Teilansicht des 1688 erbauten und mittlerweile bereits niedergelegten Frühmesserhauses Lösnich in der Oberstraße (Foto Waldemar Ohli)