Noch heute wird in Lösnich bei der Wahl neuer Gemeinderatsmitglieder das sogenannte Schöffen- oder bessser Scheffenfest gefeiert. Eine sehr alte Tradition, die wohl erwachsen ist aus der besonderen Situation, dass Lösnich als ehemalige freie Reichsherrschaft über die Hochgerichtsbarkeit verfügte. Der Herr der Herrschaft Lösnich war damit auch oberster Gerichtsherr der Lösnicher und seine Befugnis reicht soweit, dass er bei Strafsachen auch über Leben und Tod entscheiden konnte. Noch heute erinnert der Flur Galgenrech(t) an die ehemalige Hochgerichtsstätte, wo der Delinquent im Falle eines Todesurteils hingerichtet wurde. Der Weg vom Dorf zur Gerichtsstätte trug in denPreußischen Katastern von 1829 noch immer den Namen „Galgenweg“ (Quelle LHA Koblenz, Kobern-Gondorf, Preußisches Urkataster). Die schriftlich fixierte Rechtsgrundlage für all diese bildete das sogenannte Scheffenweistum.
Exemplarisch gibt ein Weistum von 1536 Einblick in das Wesen dieser Rechtsgrundlage in Lösnich. Es regelte grundsätzlich den Gültigkeitsbereich durch die detaillierte Beschreibung des „Hochgerichtsbezirks“ und gab Auskunft über die in diesem Raum gültigen gegenseitigen Verpflichtungen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Herrschaft und den lehnspflichtigen Untertanen.
In Lösnich wurden jährlich drei Gerichtstage abgehalten, an denen Vertreter der Herrschaft, der Schultheiß und die Scheffen und die Familienoberhäupter teilnehmen mussten:
- Montags nach St. Johannistag im Sommer
- Montags nach St. Martinstag
- Montags nach dem zwanzigsten bzw. achtzehnten Tag (St. Agritius Tag, 19. Januar)
Das Baugeding, an dem die Lehnsleute ausnahmslos zu erscheinen hatten, fand statt an
- St. Peter und Paul
Hier wurde kontrolliert, inwieweit die Lehnsleute ihre Pflichten in Bezug auf die Nutzung der Lehnsgüter erfüllt hatten.
Die Einleitung des Weistums von 1536 beschreibt die ordnungsgemäße Einberufung dieses „Jahrgedings“ zum Freitag nach dem Agritius Tag auf dem Lösnicher Gerichtsplatz an der Kirche untern den Bäumen („daselbst vor der Kirchen under den Bäumen selbst eigener Persohn…“) durch den Domherrn von Trier, Franziskus von Chrichingen (als Vertreter der Junker) und im Beisein des Beyer von Boppart´schen Burggrafen Wilhelm von Pfaffendorf.
Die Herrschaft Lösnich bestand seit einer Erbteilung Ende des 14 . Jahrhunderts aus zwei Teilen. Die letzte Vertreterin des Lösnicher Rittergeschlechts, Lisa von Lösnich war zweimal verheiratet und so ging das Erbe an die Söhne aus diesen beiden Ehen der Linien Beyer von Boppard und Ritter von Pyrmont. Zwei Drittel gehörten zum Burg- und Herrschaftslehen (Beyer von Boppard) und ein Drittel zum sogenannten Junkerteil (Ritter von Pyrmont), das keine Anteile an der Burg hatte. Am Jahrgeding waren Vertreter beider Parteien anwesend, obwohl die Erben des Junkernteils dieses schon früh an die Linie Beyer von Boppard mit Wiederkaufsrecht verkauft hatten, es aber nie einlösten. Ab 1474 war das Junkernteil wieder in diversen Händen, u.a. auch in denen der Grafen von Chrichingen (Quelle Erwin Schaaf, Die Herrschaft Lösnich-Bausendorf, KJB BKS 1999).
Schultheiß und Scheffen bestätigten im ersten Schritt die regelkonforme Einberufung des Jahrgedings. Darauf folgte die Beschreibung des territorialen Geltungsbereichs, also des Hochgerichtsbezirks der Herrschaft Lösnich. Dazu wurden die Standorte der Mark- bzw. Hochgerichtsscheidsteine der Herrschaft beschrieben, gleich so als würde die Grenze Stein für Stein abgegangen. Aber auch Bäume oder Bachverläufe wurden zur Beschreibung der Grenzverlaufs mit einbezogen.
Einen weiteren wichtigen Punkt bildete die zusammenfassende Übersicht der Hauptzuständigkeiten und der zentralen Rechte der Herren und Junker. Diese Arte der Aufzählung ist auch in etlichen anderen Weistümern mit nahezu identischem Inhalt zu finden. Dazu gehörten: „Gebott und Verbott, Fluck, Zuck, Fund, Prunt, Fischerey, Jagerey, Hoch- und Niedergericht auf alle Gewalten von unten an bis an den Himmel, auch wasser und weyd.“ Einige der verwendeten Begrifflichkeiten sind heute nicht mehr gebräuchlich, da sie der Sprache des späten Mittelalters entstammen.
Erläuterungen:
- Gebott und Verbott
gebieten und verbieten, die Möglichkeit, Rechte zu vergeben und zu entziehen - Fluck
Fluck und Flick bezogen sich auf alles was fliegt oder fliegen kann. Das betraf Vögel, Insekten und Bienen, beispielsweise das Recht, einen Schwarm von Wildbienen einzufangen. Dieser Begriff hat sich in Lösnich bis heute im Flurnamen „Flickrech(t)“ im Moseluferbereich Ortsausgang Richtung Erden erhalten. 1536 ist im kesselstatt´schen Lagerbuch (Quelle Stab Trier) der Flurbereich „Flickrech“ noch als „Fluckerrech“ aufgeführt. - Zuck
Zuzugs- und Abzugsrecht der Untertanen - Fund und Prunt
Vorschrift, wie mit Fundsachen umzugehen war, in wessen Eigentum sie verfielen. Dazu gehörte auch das Berg, Schatz- und Fundregal. - Fischerey und Jagerey
das Recht zu fischen und zu jagen - Hoch- und Niedergericht
Das Recht, Recht zu sprechen bei Vergehen, welche die Todesstrafe zur Folge haben können bis zu kleineren Vergehen - Wasser und Weyd
Nutungsrechte von Wasser (Flüsse, Bäche, Seen, Teiche, Brunnen). Dieses Recht findet sich noch heute wieder im Flurnamen Weidenrech am Dorfeingang von Erden kommend unterhalb der Hauptstraße hin zum Moselufer. - von unten bis an den Himmel
Beschreibung des Rechtsraums, vom Erdboden bis in den Himmel
In weiteren Abschnitten wurden die oben genannten Rechte im Detail ausgeführt und geregelt, wie zum Beispiel das Vorgehen bei Zuzug- und Abzug (Zuck) eines Untertanen. Auch die Beschreibung von Strafen bei unterschiedlich gewichteten Vergehen, die Auferlegung von Bußen und deren Aufteilung, wenn es sich um finanzielle Strafen handelte, war im Detail geregelt. Die Beschreibung der Frondienste, welche die Untertanen zu leisten hatten gehörte ebenfalls dazu. So waren die Untertanen verpflichtet, den Herren oder Junkern zu Fastnacht ein Huhn, auch genannt Rauchhuhn zu geben, bei der Ernte einen Tag Heu zu machen und Korn zu schneiden, eine Brief einen „Meilenwegs“ oder zwei zu tragen und „im Schloß“ selbst die Frucht auf- oder einzutragen und Wein „ein- oder“auszuschraden“, wobei die Herren die Kost geben, damit sie „desto besser arbeiten können“.
Ebenfalls war geregelt, wie verfahren werden sollte, wenn das Hochgericht „abfällig“ wurde, also verfallen war. Am Gerichtsplatz war zur ständigen Mahnung an die Untertanen dauerhaft ein einfacher Galgen (Hochgericht) aufgestellt, der aus drei Baumstämmen angefertigt war. Musste er erneuert werden, so waren die Herren angehalten zwei der benötigten Bäume zu liefern, die Junker den dritten.
So war das Weistum ein wichtiges Dokument für alle Beteiligten und Grundlage des geordneten Zusammenlebens in der Herrschaft unter Einbeziehung aller Rechte und Pflichten. Die verwendeten Formulierungen fallen auf durch eine oft poetische Sprache, die mit einprägsamen Bildern arbeitete, oft verbunden mit einem kräftigen Humor. Auch Versformen waren wohl sehr beliebt. Das mag wohl auch damit zusammenhängen, dass diese Rechtsvereinbarungen und Regelungen in ihrer Entstehungszeit im Mittelalter erst nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Um sich das Ganze besser behalten zu können, half natürlich auch, sich einer reichhaltigen Bildersprache gemischt mit dem nötigen Humor zu bedienen. Auch teils in Reimform vorliegende Inhalte waren hilfreich, wie zum Beispiel bei „Fluck und Zuck“ oder Fund und Prund.
Wie bereits erwähnt, „wiesen“ die Scheffen zu Beginn eines Things oder Gedingtages unter den Bäumen vor der Kirche den „Hochgerichtsbezirk“ und gaben einen detaillierten Überblick über den Grenzverlauf, der hauptsächlich mit Marksteinen abgegrenzt war, aber auch Weiden und Eichen oder andere Besonderheiten in der Natur wurden als „Markierungen“ aufgeführt. 1716 am Montag nach dem St. Johannes Baptist Tag riefen die Grafen von Kesselstatt zu einem Geding ein zur Erneuerung des Weistums von 1529. Hier ein Auszug aus der Weisung des „Hochgerichtsbezirks“, der sich jedoch nur unwesentlich oder gar nicht seit 1529 verändert hatte.
So heißt es dazu 1716:
„Es stehet eine Weiyde in der Eichwiesen, da weisen wir die Bezirken Lösnich ahn, von der Weyden an den Gerichtsgraben, den Graben uff an Limperichts Appelbaum, da stehet eine Marck, wobey liegen vier Teich, zween ufm Reich (Kröver Reich) und die anderen zweye auf dem Lösnicher Gericht. Von der Marcken an die Bungertsbach, von der Bungertsbach ahn das Hochgericht, von dem Hochgericht an den Streithborn, vom Streithborn an den Lösnicher Hohenwald, von dem Hohenwald den Trauf aus bis auf die Kötz, am Eichbaum am Endt des Waldts forth ahn den Kötzenbaum, vom Kötzenbaum längs die Heck aus an die Creutzmark (möglicherweise das in diesem Bereich in einer Karte Ende des 17. Jahrhunderts verzeichnete Wegekreuz).
Von der Kreutzmarken an den halben Weg jenner, bis an die Krebswies (im Weistum von 1536 als Kriegswiese bezeichnet, wahrscheinlich das Gelände des ehemaligen römischen Landguts im heutigen Lösnicher Hinterwald), da hat ein Eichenbaum gestanden, von dem Eichenbaum freyell nach bis ahn die von Wolf, da stehet eine Marck. Von der Marck bis ahn den Wolfer Hohenwald dazwischen stehen mehrere Marken, beneben dem Hohenwald eßen bis an Krettenroth (Kretten =Kröten), von Krettenroth den Kötzenbauhmb, da stehet ein Marck. Dahin wir zwischen dem Reich (Kröver Reich) und denen von Zelldang (Zeltingen) eine Trift haben, die ist abgemarckt.
Von der Trift her ahn Lösnicher Hohenwaldt, den Hohenwaldt längs bis ahn den Graben genannt Reben Schell, forth den Graben in den Hohenwald bis ahn den Teichborn, von dem Teichborn bis ahn Schneiderswies uff den Weckwiesen herein in Schönenfeldt, da stehet eine Marck zwischen denen von Erden, von der Mark an die Marck an Pfaffenpath ( wohl identisch mit dem Rochter Weg). Von der Marcken in den Tunngraben (Tongraben) da stehet auch eine Marck. Von der Marcken in die halb Mosel.“
Die Beschreibung des Bezirks setzte sich fort in den Lösnicher Wingertsfluren links der Mosel und endete mit der erneuten Überquerung der Mosel beim Kinheimer Seifengraben zum Ausgangspunkt der Beschreibung des Grenzverlaufs in der Lösnicher Eichwiese.