Das Lösnicher Sandsteinphänomen

Viele Wohn- und Wirtschaftsgebäude im Weinort Lösnich wurden wie an der Mosel üblich in Massivbauweise aus heimischem Bruchstein errichtet. Auch bei älteren Häusern mit Fachwerk besteht das Erdgeschoss in der der Regel aus Bruchstein. Neben einigen älteren Häusern fällt das Baujahr der meisten Häuser überwiegend ins 19. Und 20. Jahrhundert.

Typisches Bruchsteinwinzerhaus in Lösnich (Foto Jürgen Schmid)
Lösnicher Bruchsteinhaus ca. 17. Jh. mit Fachwerk im 1. Stock (Foto Jürgen Schmid)

Viele Lösnicher Bruchsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert  weisen eine Besonderheit auf, die erst bei genauerem Hinsehen auffällt. Über das ganze Dorf  verstreut sind an ungewöhnlich vielen Häusern alte schon einmal verbaute Sandsteine mit oft gut deutlichen Bearbeitungsspuren verbaut worden, Spuren wie sie bei der Gewinnung der Quader aus den Steinbrüchen und der späteren Nachbearbeitung entstehen. Diese Bearbeitungsspuren gleichen in der Regel Bearbeitungsspuren, die aus der Antike und dem Mittelalter bekannt sind.

Verbaute Sandsteine aus unterschiedlichen Brüchen in der Oberstraße (Foto Jürgen Schmid)
Hausecke am Hohlweg mit integrierten Sandsteinen unterschiedlichen Ursprungs (Foto Jürgen Schmid)

Häufige Wiederverwendung finden auch rote Tonziegel mit teils noch anhaftenden Mörtelresten, die sehr wahrscheinlich aus römischer Produktion stammen. Sie entsprechen häufig dem Typus des römischen Flachziegels, wie er aus dem römischen Trier bekannt ist.  Aber auch ganz in der Nähe finden sich diese original römischen Flachziegel, zum Beispiel  an der archäologischen Ausgrabungsstätte der „villa rustica“ im Villenbungert in Kindel. Hier ist noch der Blick in das Feuerungsloch einer römischen Fußbodenheizung  erhalten, in dem ebenfalls dieser Ziegeltyp zum Einsatz kam.

Sandstein- und Ziegelresten an der Hauptstraße (Foto Jürgen Schmid)

So stützt diese auffallend häufige Wiederverwendung dieser alten Bausubstanzen die Vermutung, dass in Lösnich römische Gebäude gestanden haben müssen, deren Ruinen der späteren Bevölkerung  als Steinbrüche für ihre eigenen Bauten dienten. Die Römer hatten ihre Siedlungsplätze spätestens im 5. Jahrhundert durch den Einfall der Germanen und die fränkische Landnahme aufgeben müssen. In der Regel vielen die Gebäude der Zerstörung zum Opfer oder sie verfielen mit der Zeit. Die neuen fränkischen Bewohner pflegten noch lange Zeit ausschließlich die Holzbauweise. Die römischen Ruinen waren ihnen eher „unheimlich“  und sie hielten sich davon fern. Sie lebten und Wohnten noch lange Zeit in ihren sogenannter Pfostenhäusern mit Lehmwänden. Menschen und Nutztiere lebten meistens in einem großen Raum zusammen.  Das Wissen um die für die Massivbauweise erforderliche Herstellung des Zementmörtels  ging mit dem Abzug der Römer gänzlich verloren. Erst im 6. Jahrhundert wurde dieses Wissen wiederentdeckt. Die ersten Steinbauten bildeten daraufhin Sakralbauten, Burgen und Klöster.

So entstand auch in Lösnich spätestens im 13. Jahrhundert eine Burg, die Burg der Ritter von Lösnich.
Diese wurde jedoch 1652 in großen Teilen von dem Franzosen Comte des Marolles und seinen Leuten zerstört  „und zum Steinhaufen“ gemacht.

Die Burgruine und das sie umgebende großflächige Gelände war im 18. Und 19. Jahrhundert im Besitz der Reichsgrafen von Kesselstatt und wurde in der 1850er Jahren in der Gemeinde verkauft. Das lässt vermuten, dass auch viele Steine dieser Ruine in Lösnicher Gebäuden wiederverwendet wurden.

Sandsteinrelikte an der Pfarrgartenmauer. Möglicherweise aus den Trümmern der Lösnicher Burg (Foto Jürgen Schmid)
Sandsteinrelikte an der Pfarrgartenmauer innen. Möglicherweise aus den Trümmern der Lösnicher Burg (Foto Jürgen Schmid)

Eine weitere mögliche Quelle begehrter Baumaterialien könnte sich aus dem Abriss der alten Pfarrkirche auf dem Lösnicher Friedhof ergeben haben. Ein Kindeler Baunternehmer hatte diese Anfang der 1880er Jahre käuflich erworben und dann bis auf den Chor niedergelegt.

Gelber Sandstein in der Fischergasse (Foto Jürgen Schmid)

Alles in allem boten historische Lösnicher Bausubstanzen zurückblickend bis in die römische Zeit sicher reichlich „Baumaterial“, das problemlos wiederverwendet werden konnte. Neue Marialien waren oft teuer und mussten oft von weithin zur Baustelle gebracht werden.

Die Verwendung von historischen Bauteilen und  Überresten antiker Gebäude früherer Kulturen hatte auch durchaus überregionale Tradition. Diese beliebten Bruchstücke wurden als „Spolien“ bezeichnet, eine Bezeichnung, die sich aus dem lateinischen „Spolium“ herleitet. Das konnten auch ganze  Mauernteile, Reliefs, Säulen und Kapitelle sein, die in neue Bauten als Verzierung und Schmuck integriert wurden.

Möglicherweise Teilstück eine römischen Säule oder eines römischen Meilensteins in der Oberstrasse (Foto Jürgen Schmid)
In Sanierung befindliche alte Kellertreppe aus Sandstein Radabweisern in der Breitestrasse aus dem 17. Jahrhundert (Foto Jürgen Schmid)

Diese Wiederverwendung  konzentrierte sich in Lösnich wie bereits beschrieben im Besonderen auf Sandsteinblöcke und Ziegelreste aus mittelalterlichen und römischen Gebäuderesten, wie man bei einem Spaziergang  durch die Straßen und Gassen von Lösnich  noch gut erkennen kann.

Hier einige Beispiele zur Veranschaulichung:

Römischer Ziegel mit Mörtel in einer Hauswand in der Oberstrasse (Foto Jürgen Schmid)
Alte römische Ziegel mit Mörtelanhaftungen (Foto Jürgen Schmid)
zum Vergleich original römische Ziegel an der Römervilla in Mülheim-Kärlich (Foto Jürgen Schmid)
Zum Vergleich original römische Tonziegel an der Römervilla in Kinheim-Kindel (Foto Jürgen Schmid)

Alter Sandstein mit deutlichen Bearbeitungsspuren in der Friedhofsmauer (Foto Jürgen Schmid)
Fenstereinfassung aus unterschiedlichen Sandsteinresten (Foto Jürgen Schmid)
Fenstereinfassung aus Sandsteinrelikten im Kellerbereich (Foto Jürgen Schmid)
Sandsteinrelikte am Eingang eines Kellers (Foto Jürgen Schmid)

Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch in Lösnich Bruchsteinsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert gibt, die völlig ohne die Verwendung dieser „historischen Gebäudereste“ entstanden sind. Ein schönes Beispiel befindet sich gegenüber der alten Lösnicher Schule.

1889 erbautes Bruchstein Winzerhaus ohne erkennbare historische Bausubstanzen (Jürgen Schmid)