Am „Räubergeschell“

Um diese „finstere Schlucht“ unterhalb des Quellbereichs der „Böngertsbach“ rankt sich eine Legende, die den Zuhörer seit jeher zum Gruseln bringen sollte. Hier wo die Böngertsbach von ihrer Quelle am Rande des Zeltinger Plateaus ihren Weg in Richtung Lösnicher Wald nimmt durch Galgen- und Grubrech, um schließlich über den Kindeler Flur in die  Mosel zu münden.

Abb. Pfad am „Räubergeschell (Skizze Jürgen Schmid)
Links der talwärts führende Pfad am „Räubergeschell“ oberhalb der Böngertsbach, rechts das Gedenkkreuz von 1638 (Foto Jürgen Schmid.

Die Legende berichtet, dass hier in der Schlucht zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) eine Räuberbande ihr Lager aufgeschlagen hatte, um den nächtlichen Wanderer zu überfallen und auszurauben. Dazu sollen sie eine Schnur mit einem Glöckchen versehen über den den Waldpfad gespannt haben. Erklang diese „Schelle“bei Berührung der Schnur durch einen Wanderer, war dies das Signal für die „Räuber“ aus ihrem Versteck zu kommen und ihre schändliche Tat auszuführen. Dabei konnte es auch zur Ermordung des Wanderers kommen.

Der Legende nach soll das kleine Sandsteinkreuz aus dem Jahre  1638 am Rande des Pfades etwas auf halber Strecke den Berg hinauf noch heute daran erinnern.

Altes Kreuz von 1638 am Räubergeschell (Foto Jürgen Schmid)

Ebenfalls nicht durch Quellen belegt, aber wahrscheinlicher ist, dass dieses Kreuz als „Pestkreuz“ aufgestellt wurde. Auch an der Mittelmosel raffte die Pest im 17. Jahrhundert in dieser zweiten  Pestwelle ihre Opfer dahin, wie es bereits schon einmal im 14. Jahrhundert geschehen war. Daran erinnert auch der Rochusaltar, der als linker Seitenaltar in der alten Lösnicher Kirche auf dem Friedhof stand. Diese Kirche wurde durch 1879 durch einen Neubau in Dorfmitte ersetzt. Die Figur des Hl. Rochus wurde dorthin übernommen und schmückt noch heute den Altarraum der neun St. Vitus Kirche  auf der rechten Altarseite. Der Hl. Rochus von Montpellier wurde als Schutzpatron gegen die Pest angerufen. Auf bildlichen oder figürlichen Darstellungen wird er häufig dargestellt, wie er etwa den Rock hochzieht und sein Pestgeschwür zeigt. So auch in Lösnich.

Abb. Figur des Hl. Rochus ind der Pfarrkirche St. Vitus Lösnich (Foto Jürgen Schmid)

Anlass zur Legendenbildung „Räubergeschell“ bildete wohl der bereits im „Weistum“ von 1529 erwähnte Name dieses Flurbereichs, jedoch in der Schreibweise „Rebener Geschell“. Änderungen der Schreibweise im Laufe der Jahrhunderte führten schließen zur heutigen Flurbezeichnung „Rebengeschell“. Der alte Flur Rebener Geschell ist sicher einer der Lösnicher Flurnamen, die bei der Suche nach der Herkunft des Namens ein besonderes Rätsel aufgeben.  Die Namensanteile Rebener und Geschell könnten in die Richtung weisen, dass hier einmal die Römer Weinbau betrieben haben könnten, denn das ehemalige römische Landgut im Lösnicher Hinterwald lag ja ganz in der Nähe. Aber das ist eher unwahrscheinlich, da sich für den Weinbau dort bessere Hänge und Fluren angeboten haben. Eine eher unerwartete Deutung ergibt sich aus der Sprachforschung. Die Bezeichnung „Rebener“ oder „Rewenter“, die  im frühen Mittelalter das „Speisezimmer von Mönchen“ beschrieb und sich aus dem Lateinischen „Refektorium“ gebildet hat, könnte der Ursprung der Namensgebung sein. „Geschell“ könnte dazu passend auf eine Glocke hinweisen. Hatten ehemalige Wandermönche zur Zeit der Christianisierung des Moselraums ab dem 7. Jahrhundert auch hier ihr Quartier aufgeschlagen und sind hier für einige Zeit verblieben? Die Lage war günstig, unweit der vorbeiführenden keltisch-römischen Fernstraße direkt im Bereich einer sprudelnden Quelle, die heute unter dem Namen „Hubertusquelle“ bekannt ist.  

Hinzu kommt, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Flurbereichs in Richtung Bernkastel der Flur „Auf der Abtei“ (erste Erwähnung im Zeltinger Weistum von 1536) und „Kirchholtz“ befand, wie aus einer Karte von 1803 hervorgeht. Ein Quelle, die oberhalb des „Rebengeschells“ entspringt und heute den Namen Hubertusquelle führt, wurde bei Grenzsteitigkeiten im 18. Jahrhundert als „Custersborn“ bzw. Costersborn bezeichnet. Aus dem Lateinischen könnte es die Bedeutung Wächter oder Hüter (custos, custodis) haben. Im kirchlichen Dienst gibt es aber auch das Amt des Küsters, eines Sakristans oder Kirchendieners.
Im Zeltinger Weistum (Aufgeschriebene Rechtsgrundlagen im Mittelalter) von 1536 wird bezüglich des Grenzverlaufs zu Lösnich im Umfeld des Rebengestells, Rebenerbachs und des Lösnicher  Bachs ein „Klosterborn“ auf Lösnicher Wald erwähnt. Handelt es sich hier um den späteren „Custersborn“, die heutige Hubertusquelle?

Die Hubertusquelle um 1991 (Foto Jürgen Schmid)

Der vorbeiführende Höhenweg aus Richtung Rachtig in Richtung Bernkastel deckt sich mit dem eines ehemaligen Fernverkehrsweges der Kelten und Römer, der am ebenfalls auf der Höhe befindlichen Römerbrunnen aus dem 2.-3. nachchristlichen Jahrhundert vorbei führt, unweit des ehemaligen römischen Landguts im Lösnicher Hinterwald Richtung Wolf. Ein weiterer Weg vom Rebengeschell in Richtung Zeltingen führte früher zu „Notgottes“, einer der Region bekannten „Gebetsstätte“. Bei dieser Stätte wird sogar vermutet, dass sie aus einem keltischenKultbezirk entstanden sein könnte.

Dort wo der Pfad aus der Schlucht auf die scharfe Linkskurve des Waldweges Richtung Lösnicher „Kietz“ trifft, stand einst ein alter Grenzstein der Reichsgrafen von Kesselstatt, der Grundherren in Lösnich von 1690 bis 1794. An dieser Stelle berührte die kurkölnische Gemarkungsgrenze von Zeltingen-Rachtig leicht spitzwinklig die Gemarkung der „Herrschaft Lösnich“. Der Böngertsbach links und der etwas kleinere Graben rechts,  der zeitweise auch einen Wasserlauf bildet, markierten die Grenze zu Zeltingen.

Ein weiterer Deutungsversuch geht in Richtung Bergbau. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben die Kelten und möglicherweise  auch noch die Römer in den Lösnicher Wäldern Eisenerze zur Herstellung von Eisen abgebaut. Daran mag auch der nahegelegene Flur „In der Grub“ erinnern. Noch heute tragen Grubenlampen auch die Bezeichnung Schelle. Dies leitet sich ab aus dem Wort Schale. Frühe Grubenlampen bildeten Schalen, in denen tierische Fette oder Talk verbrannt wurden, um für das nötige Licht in den engen Schächten zu sorgen. In römischer Zeit waren es dann überwiegend Öllampen aus Ton. Vor diesen Schalen und Lampen wurden von den Bergleuten  auch „Kienspäne“ verwendet. In diesem Zusammenhang könnte dann auch die Bezeichnung Reben womöglich auf das Lateinische „repere“ für Kriechen und Schleichen zurückgeführt, das wohl auch Pate stand für die Bezeichnung Rebe (Ausläufer, Ranke). Die frühen Bergleute förderten die Erze in kleinen engen oberflächennahen Gruben (Pingen). Dem Althochdeutschen „reba“ wird auch die Bedeutung „Schale“ zugeordnet, was in diesem Zusammenhang durchaus einen Sinn dieses Wortgebildes „Reben Schelle“ ergeben würde. Kamen hier beim Erzabbau solche „Grubenlampen zum Einsatz, oder wurden sie hier von späteren Generationen des öfteren gefunden?

Doch es bieten sich noch weitere „Deutungsmöglichkeiten“ an. Dem Begriff „Schell“ könnte auch der Begriff „schele bzw. auch „schelle“ zugrunde liegen. Im Mittelhochdeutschen bezeichnete er den „Zuchthengst“ (Quelle Deutsches Rechtswörterbuch DRW, https://drw-www.adw.uni-heidelberg.de). Dieser bildete sich aus dem althochdeutschen „skelo“. Der Name könnte verweisen auf einen Ort, an dem der „Zuchthengst“ gehalten wurde, oder der dem Halter für die Zucht zur Verfügung stand. Die keltisch-römischen Treverer waren hervorragende Reiter und wurden von dem Römern bevorzugt für die Kavallerie ihr berittenen Hilfstruppen rekrutiert. Ebenso verstanden sie sich gut in der Pferdezucht. Schwierig wird es jedoch bei diesem Deutungsversuch, eine Gesamtdeutung des Begriffs „Reben Schell“ herbeizuführen. Aber er erweist sich nicht als völlig ausgeschlossen. Könnte es eine „bildhafte Beschreibung“ gewesen sein für einen Ort, an dem „Reben gezüchtet“ wurden?

Reben Geschell Flurbereiche 15.-18. Jahrhundert (Skizze Jürgen Schmid)

Aber auch die Frage nach der Bedeutung des direkt benachbarten Flures „Reffeningers Helde“ in Zeltinger Gemarkung gibt Rätsel auf. Er führt als kleiner Zipfel vom Zeltinger Berg kommend bis an die Böngertsbach. „Helde“ wahrscheinlich gleichbedeutend mit Halde bezeichnet in der Regel künstlich angelegte Hügel, die durch Anschüttungen entstehen, wie beispielsweise eine Geröllhalde, eine Schuthalde, oder eine Abraumhalde, die beim Bergbau angelegt wird. Das führende Wort Reffeninger könnte sich gebildet haben aus raffen, aufraffen oder mundartlich reffen. Es wird benutzt für hastig und schnell etwas aufheben, zupfen, rupfen oder eilig an sich reißen (Quelle Walter Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch). Hier könnte wieder ein Zusammenhang bestehen zur bereits erwähnten keltisch-römischen Eisenerzgewinnung, die hier und im nahegelegenen Flur an der Oberfäche oder in kleinerer Gruben (Pingen) betrieben wurde.

Am Reben Geschell 2014 (Foto Jürgen Schmid)

Die Hanglage des Flurstückes Helde ist gegeben, wie die Aufnahme von 2014 deutlich zeigt. Vom Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz veröffentlichte Oberflächen-Scans mit Schummerungseffekt zeigen für das Areal Reffingers Heide deutlich ein ausgedehntes „Pingenfeld“, dass auf einen intensiven Eisenerzabbau vermutlich in keltisch-römischer Zeit hinweist. Pingen sind kleine trichterförmige Gruben, aus denen das benötigte Gestein überwiegend im Tagebau gefördert wurde. Noch heute sind sind die in der Regel kreisförmigen Vertiefungen in den Wäldern zu erkennen, werden aber in Unkenntnis ihrer ehemaligen Funktion kaum wahrgenommen und meist übersehen.